BGH: ausreichende Bedenkzeit ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung in einen Eingriff.

In seiner aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. vom 20.12.2022 – VI ZR 375/21) äußert sich der BGH zu der Frage der Bedenkzeit des Patienten im Rahmen der Aufklärung. Die Zeitspanne, die als Bedenkzeit für den Patienten zwischen Aufklärung und OP liegen muss, um eine wirksame Einwilligung auszulösen, wird von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt..

Im der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte das OLG Bremen einem Patienten Schadensersatz zugesprochen, der das Einwilligungsformular unmittelbar im Anschluss an das Aufklärungsgespräch unterzeichnet hatte. Das OLG sah die Einwilligung als unwirksam an. Denn der zugrunde liegende Entscheidungskonflikt des Patienten sei so nicht ausgeräumt worden. Dafür, so die Rechtsprechung bisher, brauche es ausreichender Bedenkzeit um sich aus Patientensicht der Tragweite und Bedeutung des Eingriffs gewiss zu werden.

Der Gesetzgeber regelt in § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB, dass die Aufklärung so rechtzeitig erfolgen muss, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann.

Der BGH konkretisiert den Inhalt der Norm nun. Er beurteilt die Wirksamkeit der Aufklärung anders als das OLG Bremen. Die Bedenkzeit als solche ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Einwilligung in den bevorstehenden Eingriff. Laut BGH kann das auch sehr schnell gehen. Sobald sich der Patient gleich nach dem Gespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage sieht, ist es sein gutes Recht, die Einwilligung sofort zu erteilen.

In dem Fall aus Bremen verlangt ein Mann Schadenersatz von einer Klinik wegen einer missglückten Nasen-OP, bei der eine Hirnblutung aufgetreten war. Das Aufklärungsgespräch fand drei Tage vor dem Eingriff statt. Das Einwilligungsformular unterschrieb er direkt im Anschluss an das Aufklärungsgespräch. Das Oberlandesgericht Bremen sah die Einwilligung wegen der fehlenden Bedenkzeit als unwirksam an (MedR 2022, 493).

Im Prozess konnte zwar nicht geklärt werden, ob die beteiligten Ärzte den Mann womöglich unzulässigerweise gedrängt oder „überfahren“ haben. Allerdings war dieser Aspekt für den BGH auch nicht entscheiden. Denn der Mann hatte sich auf jeden Fall drei Tage später in der Klinik vorgestellt und zur Operation aufnehmen lassen. Spätestens mit diesem Verhalten habe er seine Einwilligung stillschweigend erteilt.

Umgekehrt erwartet der BGH von jemandem, der noch Bedenkzeit braucht, , dass er das dem Arzt gegenüber auch zum Ausdruck bringt.

Anmerkung: Diese Entscheidung aus dem Medizinrecht ist sehr begrüßenswert. Sie entspricht der Realität an deutschen Kliniken. Daneben wird sie sowohl der Behandlerseite, als auch dem Patienten gerecht. Der BGH legt die Frage nach der Bedenkzeit in die Hände des mündigen Patienten. Dieser kann nach seinen individuellen Fähigkeiten selbst beurteilen, ob er sofort einwilligt. Daneben kann er seiner Pflicht nachkommen, auf die Notwendigkeit zusätzlicher Bedenkzeit aufmerksam zu machen.

Prof. Dr. Christian Kanth

Fachanwalt für Medizinrecht

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